Neurodiversität und der kreative Prozess

Neurodiversität, wie Autismus oder ADHS, bringt Herausforderungen mit sich – aber auch einzigartige Arbeitsweisen, die zum festen Bestandteil des kreativen Prozesses werden und das Endprodukt entscheidend prägen.
Menschen mit Neurodiversität erleben oft Ausgrenzung in Gesellschaft und Wirtschaft. Doch das ändert sich zum Glück – besonders in der Kreativbranche und im Kunstsektor. Das Nikon Magazin spricht mit zwei neurodivergenten Fotograf:innen über ihre Arbeit mit Bildern und ihre Leidenschaft dafür, dass Menschen wie sie wahrgenommen und wertgeschätzt werde. Sie geben Tipps für alle, die einen ähnlichen Weg einschlagen möchten.
Lou Jasmine
Die Londoner Fotografin und Regisseurin Lou Jasmine, die ADHS hat, entdeckte ihre Liebe zur Reportage-Fotografie durch dokumentarische Fotobücher. „Ich war besessen von Musik, Büchern, Biografien, Schauspielerbiografien und allem, was mit Filmen zu tun hat“, erinnert sie sich. „Die Bücher enthielten fantastische Schnappschüsse von Menschen am Set, im Hotel, im Café. Ich fragte mich: ‚Wer macht eigentlich diese genialen Fotos? Die sind echt cool!‘“
Obwohl sie sich für diese Art von Bildern begeisterte, bedeutete das nicht, dass sie sofort eine Karriere als Fotografin anstrebte. Nach dem Studium arbeitete sie an Dokumentarfilmen. Dabei merkte sie, wie sehr sie es liebte, die gesamte Erfahrung festzuhalten – und nicht nur selbst zu filmen.
„Bei einer Doku drückte mir einer der Kameraleute eine Kamera in die Hand, damit ich Standbilder für den Film mache“, erzählt sie. „Ich weiß noch, wie ich damit herumlief und dachte: ‚Oh mein Gott. Das ist großartig!‘“

Lou Jasmine in Aktion
Lou folgte dem Rat eines Freundes und postete täglich ein Foto auf Instagram. Von dort aus entwickelte sie sich weiter und spezialisierte sich auf Musik- und Konzertfotografie. Heute arbeitet sie sowohl als Regisseurin als auch als Fotografin. Als neurodivergente Kreative verlässt sie sich auf verschiedene Systeme, die ihr das Leben erleichtern. Beispielsweise nutzt sie eine automatische E-Mail-Antwort, die einen Puffer zwischen ihr und eingehenden Anfragen schafft. Zudem nimmt sie am britischen Programm „Access to Work“ teil, das ihr hilft, jemanden anzustellen, um administrative Aufgaben auszulagern.
Auch während Shootings hat sie oft jemanden an ihrer Seite, der sie sanft zur nächsten Aufgabe lenkt. „Mir ist es extrem wichtig, meine eigenen Grenzen zu kennen“, betont sie. „Ich neige wie viele von uns zu Perfektionismus. Deshalb brauche ich Menschen, die mir sagen: ‚Lou, das reicht jetzt. Die Aufnahme ist in Ordnung – wir können weitermachen.‘“
Eine weitere Strategie: Sie plant ihre Reisen, und wie sie von A nach B kommt, so früh wie möglich. So vermeidet sie unnötigen Stress. Auch in der Postproduktion setzt sie auf ein Team, das sie bei der finalen Bearbeitung unterstützt.
Lous Tipp: Tretet für euch selbst ein und baut euch ein Netzwerk auf
„Fotografie kann manchmal einsam sein. Habt keine Angst davor, eure Meinung zu sagen“, rät sie abschließend. „Knüpft Kontakte zu anderen Fotograf:innen und neurodivergenten Kreativen!“
Lous Fototasche: Nikon Z6II, Nikon Zf, Nikon Z30, Nikon F100, NIKKOR Z 24-70mm f/2.8 S, NIKKOR Z 85mm f/1.8 S.
Alfie Bowen
Bei seinen ersten Erfahrungen mit der Fotografie stieß Alfie Bowen, der Autismus hat, auf ein verbreitetes Problem: Die Bilder, die er im Kopf hatte, konnte seine Kamera – oder er mit seinen damaligen Fähigkeiten – nicht umsetzen. Doch er wusste genau, was er fotografieren wollte.
„Ich war schon immer fasziniert von Tieren“, erklärt er. „Mein allererstes Wort war sogar ‚mallard‘ (Stockente). Ich war auf der Suche nach einer Möglichkeit, meiner Leidenschaft nachzugehen. Dann stolperte ich über die kleine Kompaktkamera meiner Mutter – und begann, Wildlife-Fotos zu machen.“
Im Jahr 2015 bekam Alfie zu Weihnachten eine eigene Kamera geschenkt – was ihm zufolge sein Leben veränderte. Seitdem geht es für ihn steil bergauf. Heute fotografiert er eine Vielzahl von Wildtieren – von Primaten bis Flamingos. Vor Kurzem veröffentlichte er sogar ein Buch, Wild Horses (Wildpferde), an dem er zwei Jahre lang gearbeitet hatte. Alfie fotografiert oft in Schwarz-Weiß. Das erlaubt ihm, sich ganz auf die Persönlichkeit jedes einzelnen Tieres zu konzentrieren.

Alfie Bowen mit dem NIKKOR Z 28-400mm f/4-8 VR
Wie Alfie zu Projekten kommt und sie umsetzt, wird – zumindest teilweise – von seinem Autismus beeinflusst. „Ich bemerke jedes kleinste Detail – in meinen Motiven, bei den Aufnahmebedingungen, beim Hintergrund. Meine lebhafte Vorstellungskraft sorgt dafür, dass mir oft spontan Bildideen einfallen. Auch ganz zufällig.“
Deshalb skizziert er seine Ideen oder schreibt sie auf. So geht trotz seines Kreativitätsflusses keine Idee verloren. „Der schönste Teil ist die Umsetzung. Ich investiere dann vor Ort viele Stunden, um meine Skizzen in Fotos zu verwandeln“, erklärt er. „Manchmal dauert es lange. Aber das Gefühl, wenn das finale Bild steht, ist unbeschreiblich.“
Seine Begeisterung für Tiere und sein Engagement für Autismus-Aufklärung haben ihm zudem Aufträge von Wohltätigkeitsorganisationen und Speaker-Auftritte eingebracht, unter anderem letztes Jahr bei der Nikon Photo London.
Alfies Tipp: Fokussiert euch auf das, was ihr liebt, und plant entsprechend
„Ich muss mein Equipment in- und auswendig kennen und meine Shootings gut planen. Weniger Überraschungen heißt weniger Stress – und mehr kreative Energie!“, verrät Alfie. „Fotografiert das, was euch vertraut ist und was ihr liebt. Ich arbeite am besten mit Motiven, die ich genau kenne. Wenn ich meine Motive ganz genau kenne, hilft mir das sehr, wenn ich auf Fototour gehe.“
Nach zwei Jahren intensiver Arbeit an seinem Pferde-Projekt genießt er es nun, wieder andere Tiere zu fotografieren: „Das Pferde-Projekt war sehr intensiv. Zwei Jahre lang fotografierte ich kaum etwas anderes! Es ist fantastisch, jetzt wieder mehr Vielfalt vor der Linse zu haben: Zebras, Flamingos, Lemuren, Löwen …“
Alfies Fototasche: Nikon Z9, Nikon Z6III, NIKKOR Z 70-200mm f/2.8 VR S, NIKKOR Z 100-400mm f/4.5-5.6 VR S und NIKKOR Z 14-24mm f/2.8 S.
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